Zu der ersten Generation an Schülern, die Gerd Wischnewski nach seiner Rückkehr aus Japan ausbildete (siehe dazu die vorherige Ausgabe), gehörte neben Klaus Liermann auch Rolf Brand. Brand war ebenfalls ein Gründungsmitglied des DAB und wurde wegen seiner Führungsqualitäten auch gleich zu dessen Präsident gewählt, eine Rolle, die er daraufhin jahrzehntelang einnahm. Gleichzeitig war er auch Bundestrainer des DAB.

Brandt-maai

Ma-ai

Wie auch schon der Band von Wischnewski, erschien Rolf Brands Aikido-Buch bei Falken, doch Brands Buch ist mit 278 Seiten weitaus umfangreicher und in mehrerlei Hinsicht moderner aufgemacht. Das Vorwort legt nahe, dass die erste Ausgabe bereits 1980 erschien, doch meine Auflage ist von 1994 und zu der Zeit wurde die Budo-Bibliothek des Falken-Verlags schon nicht mehr mit der Liebe zum Detail gepflegt wie in den fünfzehn Jahren zuvor. Der Einband und die Typographie wirken steril und lieblos, doch inhaltlich hat sich der Autor viel vorgenommen. Die beiden Geleitworte stammen von André Nocquet, der nicht weiter vorgestellt werden muss, und Erhard Altenbrandt, dem zweiten Mann hinter Rolf Brand, einem ebenfalls großen Aikido-Meister.

Nach dem einleitenden Abriss der Aikido-Geschichte folgen Kapitel über das Wesen des Aikido, das Lehrer-Schüler-Verhältnis, den Weg des Aiki und bald darauf Erläuterungen zur Trainingsplanung und zum Dojo, dem Aikido-Gruß und der Gymnastik. Das nächste Kapitel widmet sich den „Elementen des Aikido“. Darunter versteht der Autor unter anderem den Sitz, den Stand, die harmonische Distanz, die Schwerthand, den Hara, Sabaki, Ki und Kokyu.

Brandt-katame

Katame waza

Das Kapitel 5 widmet sich den Prinzipien Irimi und Tenkan. Das darauffolgende Kapitel ist den Techniken gewidmet. Neben der Erklärung von Ukemi-Waza werden 18 verschiedene Angriffsarten präsentiert, die sich noch heute fast identisch in der Prüfungsordnung für Kyu-Grade des DAB wiederfinden. Es folgt die Auflistung von 13 Nage-waza-Techniken, die in einem umfangreichen Bild-Teil auch mit Fotos erklärt werden. Die fünf klassischen Bodenhebel werden im nächsten Abschnitt besprochen. Wir erfahren hier auch, warum im DAB viele Jahre lang die (nach klassischer Lehre) zweite Technik (Nikyo) erst nach der dritten und vierten Technik gelehrt wurde. Auch das Kapitel Katame-waza ist umfangreich bebildert.

Brandt-nikyo

Nikyo – Kote-mawashi

In den nächsten beiden Kapiteln widmet sich der Autor dem Randori auf sechs Seiten. Danach der Kata auf deren sieben. Die Beschreibung des Inhalts der ersten Kata lehrt mich, dass die erste Kata seitdem durchaus geändert wurde. Die interessante Frage, woher die Aikido-Katas stammen, wird nicht behandelt. In Kapitel 7 werden besondere Übungsformen besprochen. Dazu zählen hier Shikko, Hanmi-hantachi, Suwari-waza, Mehrfachangriffe. Im Kapitel 8, in dem Waffen besprochen werden, zeigt Brand einige Beispiele für Techniken mit/gegen Lanze, Schwert und Tanto. Im Kapitel 9 werden umfangreich Verkettungen besprochen. Da dies ein schwieriges Thema ist, können wir für jede Anleitung dankbar sein (19 Seiten).

Im Kapitel 10 widmet sich der Autor dem Thema „Prüfungen“, natürlich mit dem Hauptaugenmerk darauf, wie Prüfungen im DAB organisiert werden. Im abschließenden Kapitel 11 wagt der Autor einen Ausblick. Nicht ohne Zuversicht hofft er, dass die Zukunft vom Leben und Wirken kommender Aikido-Meister geprägt sein wird. Wie schon Wischnewski kündigt auch Brand einen Folgeband an, der ebenfalls nicht zustande kam.

Brandt-Prüfungsordnung

Prüfungsordnung

Fazit: Das Buch von Rolf Brand enthält sehr viel wichtiges Material und kann empfohlen werden. Der mitunter bürokratische und joviale Grundton seiner Ausführungen lässt sich sicherlich vor dem Hintergrund seiner Leistungen für das nationale Aikido entschuldigen. Außerdem ist natürlich zu berücksichtigen, dass der Text vor 40 Jahren entstand. Da der Autor über viele Jahre die Geschicke des DAB bestimmte, ist es keine Überraschung, dass in manchen Aspekten eine DAB-spezifische Auslegung des Aikido propagiert wird.

Die Fotostrecken offenbaren eines der Probleme von Aikido-Darstellungen in Büchern. Das Wichtige (Kräfte, Drücke, Gleichgewichte, Details in Handhaltungen) lässt sich auf den kleinen Bildern nicht wiedergeben. Da bei keiner Technik mit Foto auf die Hakamas verzichtet wurde, ist fast nie der korrekte Stand oder die Schrittfolge zu erkennen. Grundsätzlich sind also die Fotos keinesfalls zum Selbststudium geeignet (und auch nicht dazu gedacht!). Wie auch grundsätzlich (ausschließliches oder überwiegendes) Selbststudium nicht zu empfehlen ist!

Brandt-tenkan2

Fußarbeit im Detail

 

Vergleich-Westbrook

Hier zum Vergleich: Fußarbeit in „Westbrook/Ratti: Aikido und die dynamische Sphäre“

Da das Buch mitunter für 74 Cent gebraucht im Internet gefunden werden kann (ohne Gewähr), stellt der Kauf für jeden Aikidoka eine risikolose Investition dar. (Nebenbemerkung: Inwieweit der spätere Austritt Brands aus dem DAB und die Gründung eines Konkurrenzverbandes seine noble Rede von Vertrauen und Respekt ad absurdum führt, muss jeder für sich selbst beurteilen. Die Vorgänge, die zu diesem Entschluss Brands geführt haben, waren für mich als Außenstehenden nicht transparent. Ich maße mir nicht an zu behaupten, dass die von ihm gezogenen Konsequenzen nicht folgerichtig und anständig waren. Der gründlichen Besprechung vieler wichtiger Aspekte und Elemente des Aikido tut diese persönliche Dimension jedoch keinen Abbruch)