Monsieur Christian Tissier ist zweifellos der einflussreichste Aikidoka Europas der Gegenwart. Als Jugendlicher ist er auf eigene Faust nach Japan gereist und hat dort mehrere Jahre unter der Obhut von Kisshomaru Ueshiba und Seigo Yamaguchi gelernt. Zurück in Frankreich hat er den ‚Le Cercle Tissier‘ gegründet, eine private Aikido-Schule.

Bekannt wurde Tissier unter anderem durch seine Auftritte beim jährlichen Budo-Festival in Paris-Bercy, das 2020 zum 35. Mal veranstaltet wird. Seinerzeit sendete Eurosport dieses Kampfkunst-Gala und wiederholte sie auch immer mal wieder. Viele der frühen Videos auf Youtube stammen daher, aber Tissier produzierte auch mehrere Lehrvideos, die ebenfalls auf Youtube zu finden sind.

Tissier wurde 2016 vom Honbu-Dojo zum 8. Dan erhoben, auch von der Verleihung dieses Titels gibt es ein Video bei Youtube.

Kommen wir nun zum Lehrbuch „Aikido – Initiation“ (Aikido-Einführung). Es erschien 1983 im Sedirep-Verlag. Mir liegt die 5. Auflage vor. Es hat 157 Seiten und ist mit hunderten von scharfen S/W versehen. Dies ist ein reines Technikbuch. Bis auf eine kleine Anzahl von Fotos mit Tissier und seinen Lehrern sind ausschließlich Technik-Sequenzen dargestellt.

Die erste Technik ist die Verneigung im Stand und aus Seiza, jeweils von Tissier anhand von vier Fotos demonstriert. Darauf folgt ein Dutzend Seiten mit traditionellen Gymnastikübungen, die aus sportmedizinischer Sicht heute größtenteils als veraltet gelten dürften.

Es folgt die Rückwärtsrolle in fünf Variationen (aus dem Stand, aus dem Sitz, aus dem Kniestand, aus dem Stand mit Wiederaufstehen, Fall auf den Rücken mit Abschlagen). Es folgen darauf verschiedene Varianten der Vorwärtsrolle und als Sonderfall der Fall beim Koshi-nage.

Als nächstes Folgen Tenkan-ashi, Tai-sabaki und Tai-no-henko – mit und ohne Partner abgebildet. In allen Bildern tragen Uke und Nage Hakama, so dass die Stellungen der Füße nicht zu erkennen sind. Es sind auch keine Pfeile oder Markierungen auf den Bildern angebracht (so wie in „Aikido und die dynamische Sphäre“), die das Setzen der Füße erläutern. Außer einigen Allgemeinplätzen („der Taisabaki ist eine fundamentale Bewegung, die in fast allen Aikido-Techniken vorkommt“) beschreibt der Text die Stellung der Füße und Hände auf wenig nachvollziehbare Weise. (Wie es zu erwarten war! Dies ist nicht als Kritik an Meister Tissier zu verstehen. Hände und Füße vollführen beim Aikido komplexe Bewegungsabfolgen, die unmöglich in einem kurzen Text erfasst werden könnnen. Aikido kann man nicht aus Büchern lernen!)

Auf der nächsten Doppelseite werden uns die Standardangriffe aufgezeigt. Das Vokabular ist identisch mit dem, welches wir verwenden (Ausnahme: Die Abschleifung von Tori->Dori; Katate-Tori -> Katate-Dori). Bereits auf nächsten Seite, werden verschiedene Führungsmöglichkeiten beim Angriff ‚Katate-Dori‘ gezeigt und anhand des *Schwertziehens* erläutert.

 

Im nächsten Abschnitt zeigt Monsieur Tissier die folgenden Hebel: Ikkyo Omote (=Ude-Osae Irimi) gegen Ai-hanmi Katate-Dori; Nikyo Ura (=Kote mawashi Tenkan) gegen Kata-Dori; Sankyo Omote (Kote-hineri) gegen Ushiro-Ryote-dori (von vorne und von der Seite auf insgesamt 21 Bildern); Yonkyo Omote (Tekubi osae) gegen Katate-Dori. Dann sehen wir Shiho-Nage gegen Katate-Dori, Udekime-nage gegen Katate-Dori, Kaiten-nage uchi gegen Katate-Dori, Kote-Gaeshi, Tenchi-nage, Irimi-nage, Koyku-Nage, Juji-garami.

Wir sehen also: im Wesentlichen as Standardprogramm bis zum 1. Dan.

Nun folgen gegen Shomen-uchi: Ikkyo, Irimi-nage, Kote-gaeshi.

Gegen Yokomen-uchi: Irimi-nage, Shiho-nage, Ude-kime-nage, Kote-Gaeshi, Ikkyo, Nikyo und noch fünfzehn weitere Techniken, die ich hier nicht weiter aufzähle. Die letzten vier Seiten befassen sich mit Hanmi-handachi und Suwari-waza (vier Techniken).

Auf den letzten fünf Seiten befindet sich eine Biographie des Begründers O-Sensei Morihei Ueshiba. Ich habe den Verdacht, dass es sich einfach um die französische Übersetzung der Biographie aus dem Aikido-Buch von Kisshomaru Ueshiba handelt (siehe meine Besprechung dieses Buches).

Das Buch schließt mit fünf Seiten Glossar.

 

Für welche Zielgruppe eignet sich dieses Buch? Obwohl die meisten Basistechniken und Grundübungen des Aikido von Tissier-sensei behandelt werden, muss noch einmal davor gewarnt werden anzunehmen, man könne Aikido aus einem Buch lernen. Doch wenn man gerade kein Anfänger mehr ist (vielleicht nach einem Jahr intensiven Trainings), kann dieses Buch eine gute Lernhilfe sein, um sich die Bewegungen durch Betrachten der Fotosequenzen einzuprägen. Das Material ähnelt der Lernhilfe für den 5. + 4. Kyu von Rolf Brand, die gelegentlich im Verein herumgereicht wird.