Formales Portrait von O-Sensei mit Tohei

Koichi Tohei war – insgesamt – der einflussreichste Schüler O-Senseis.  Geboren 1920 in Tokyo, nahm er als 19-jähriger das Aikido-Studium auf, nachdem er schon Erfahrung im Judo hatte. Anfang der 1940er Jahre unterbrach er kriegsbedingt das Aikido-Training, nahm es aber kurz nach Kriegsende wieder auf. Er stieg schnell auf und wurde 1953 ausgewählt, um Aikido auch in den USA zu unterrichten, wohin er mehrfach reiste. Toheis Karriere im Aikido war wirklich außergewöhnlich. Er erhielt von O-Sensei den 10. Dan, wobei anzumerken ist, dass O-Sensei Grade nach seinem Gutdünken vergab; jedoch war er zweifellos verdient. Er und Kisshomaru hatten Schwestern geheiratet, so dass zwischen Tohei und der Familie Ueshiba also auch eine verwandtschaftliche Beziehung bestand. Er war lange Jahre Shihan Bucho, der Cheflehrer des Aikikai-Hombu-Dojo. Sein Austritt aus dem Aikikai 1974 und die Neugründung seiner eigenen Aikido-Organisation, die größeren Stellenwert auf die Ausbildung des Ki legte, sendete Schockwellen durch die Aikido-Welt.

Koichi Tohei legte unter der Aufsicht von O-Sensei das hier vorliegende Buch mit dem Titel „Aikido – The Coordination of Mind and Body for Self-defence“ vor. Wie schon an diesem Titel ersichtlich, erschien diese Ausgabe in England. Dessen erste britische Ausgabe erschien 1966 im Verlag Souvenir Press Ltd, das Copyright der Verlages Rikugei ist jedoch schon von 1961. Auf der Wikipedia-Seite von Tohei sind 19 von ihm verfasste Bücher vermerkt, dieses unter dem Titel „Aikido – the Arts of Self-defense“. Es ist unklar, ob es sich um die englische Übersetzung eines japanischen Titels handelt, da jedoch kein Übersetzer vermerkt ist, hat Tohei, der Englisch sprach, es wohl tatsächlich selbst in englischer Sprache verfasst.

Atemi

Meine Ausgabe hat 174 Seiten mit zahlreichen, qualitativ minderwertigen SW-Fotos und einigen  Strichdiagrammen. Auf den ersten Seiten sind einige großformatige Bilder von O-Sensei, Kisshomaru und Tohei abgedruckt, teilweise mit Trainingsszenen, teilweise Porträts. Der Inhalt lässt sich grob einteilen: Vorbemerkungen, geschichtlicher und philosophischer Art; technische Erklärungen; praktische Erwägungen zu Gesundheit und Selbstverteidigung.

Während kritischere Analysen der Aussagen und Schriften O-Senseis diese Auslegung zwar nahelegen, doch niemals so explizit sind, hat sich doch hauptsächlich durch Toheis Aussagen zur Natur des Aikido eine romantische Interpretation etabliert. Er spricht im ersten Kapitel von der Liebe der Mutter Natur, davon, dass „alle Kampfkünste auf Liebe basieren“, dass Gier und Eigennutz die Ursachen der Konflikte sind, etc. Wir finden hier sowohl den ominösen Satz, dass die Kampfkünste Liebe seien; die Frage es Schülers, wie denn Aikido Liebe sein könne, wenn man doch Leute wirft, schlägt und ihnen Schmerzen zufügt. Tohei beantwortet die Frage so: „Der Schüler sah nur die Form, nicht den Geist des Aikido, dessen Prinzipien nichts weniger sind als die Prinzipien der Natur.“

Im Kapitel über die Koordination von Körper und Geist findet sich die gute alte Geist-wie-das-Wasser-Metapher. Auf Seite 46 lernen wir die Vorzüge der Entspannung kennen, wie sie sich in der Übung des unbeugbaren Arms offenbart. Tohei hat, als er seinen eigenen Aikido-Stil gründete (vermutlich schon vorher) großen Wert auf Grundregeln seines Aikido-Trainings hingewiesen. Einer davon besteht darin, man solle sich immer auf Seika-no-itten („der eine Punkt“) konzentrieren. In unserem Training sprechen wir in diesem Zusammenhang von „Zentrum“.

Kote-Mawashi

In Kapitel 3 angekommen, finden wir hier eine kurze Biographie von O-Sensei, die nicht allzu wörtlich genommen werden sollte. So behauptet Tohei, O-Sensei habe „fast alle existierenden Kampfkünste geübt“. Auch wird behauptet, O-Sensei sei mit einem Bokken bewaffnet durch Japan von Dojo zu Dojo gezogen, um würdige Lehrer zu finden und Schüler auszubilden. In den anderen Biographien von O-Sensei (z.B. von Kisshomaru oder von John Stevens) gibt es keinen Hinweis für eine solche Wanderschaft. Tohei erzählt auch die Episode von O-Senseis Erleuchtung, von der Stanley Pranin jedoch berichtet, dass O-Sensei in seinem Leben mehrere verschiedene Versionen dieses Ereignisses erzählte. Wie Tohei auf die Idee kommt zu behaupten, Kisshomaru habe den 8. Dan, bleibt aber rätselhaft, denn die Ueshiba-Familie steht als Iemoto außerhalb des Dan-I.

Im nächsten Kapitel erklärt Tohei einige Grundregeln, die wir beim Training einhalten sollen. Die erste Regel lautet: Trainiere ernsthaft. Zweitens: Sei offen für neue Ideen. (Hier bringt Tohei die alte Geschichte von dem vollen Glas ein.) An der dritten Stelle folgen die Dojo-Regeln des Hombu-Dojo: 1. Verzichte darauf deine Stärke mit anderen zu messen. 2. Übe so, dass du Angriffe aus allen Richtungen abwehren kannst. 3. Übe fröhlich und strenge dich an. 4. Dein Fortschritt erfordert ein ernsthaftes Studium. 6. Aikido-Techniken sind geheim und dürfen keinen Grobianen gezeigt werden.

Danach unterrichtet uns Tohei-sensei, unter welchen Umständen Aikido eingesetzt werden dürfe: 1. Zur Selbstverteidigung. 2. Zur Verteidigung anderer. 3. Um eine Gruppe von Störenfrieden in einer größeren Gruppe zur Raison zu bringen. Nun folgen die Aiki-Solo-Übungen, die wir gewöhnlich als Teil des Aufwärmtrainings üben. Die Lockerungsübungen für die Handgelenke und verschiedene Ausweich- und Eintrittsübungen. Darunter ist auch die Ruderübung (Funekogi-undo), aber auch die Rolle vorwärts und rückwärts. Danach werden die wichtigsten Aikido-Begriffe erklärt: Ki, Koyku, Maai, Hanmi, Orenai-Te (der unbeugbare Arm), Fudo-no-shisei (der unbewegliche Stand), Irimi, Tenkan, Nage, Uke.

Sankyo mit abgewinkeltem Handgelenk

Sankyo mit geradem Handgelenk

Jetzt kommen endlich die Techniken. Die erste ist Katate-tori Kokyu-ho Tenkan. (Man beachte, dass Tohei auf die Flektion von -tori zu -dori verzichtet, so wie wir es auch tun.) Es folgen Kokyu-Nage (den wir Irimi-Nage nennen), Kote-gaeshi, Kaiten-nage, Ude-osae (hier Ikkyo genannt, in Klammern dazu noch Ikkajo, die alte Daito-Ryu-Bezeichnung), Kote-mawashi (Nikyo), nochmal Kokyu-nage, Shiho-nage, Kote-hineri fehlt auch nicht. Hin und wieder werden auch Bilder gezeigt, die eine falsche Ausführung verdeutlichen sollen, diese sind nicht markiert, so dass man sorgfältig im Text nachlesen muss, ob das Bild eine korrekte oder eine falsche Ausführung zeigt. In Bild 89 sehen wir auch den Tohei-Hopser, die sonst nirgendwo geübte Praxis, einen Fuß beim Eintreten fast bis zum Knie anzuheben.

In einem Abschlusskapitel philosophiert Tohei noch einmal über die fünfzig präsentierten Techniken. Er weist noch einmal darauf hin, dass man niemals gegen das Ki seines Angreifers arbeiten solle. Er erinnert uns auch daran, dass es nicht die Vielzahl der Techniken ist, die den Aikidoka ausmacht, sondern die korrekte Anwendung der Aikido-Prinzipien. Sensei Tohei erinnert uns auch daran, dass Aikido zwar für Außenstehende sanft und weich erscheinen kann, dass aber der Geist und das Ki des Aikidoka offensiv und aggressiv sind.

Fazit: Ein abschließendes zusammenfassendes Urteil über dieses Buch zu fällen, fällt mir schwer, es enthält viele Mängel, doch auch so manches interessante Detail: eher für Sammler.